Ursprung

Fasten als Mittel gegen Epilepsie war bereits in biblischen Zeiten und im Mittelalter bekannt. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dieses Prinzip erstmals in Form einer sogenannten ketogenen Ernährungstherapie (KET) systematisch und mit viel Erfolg zur Behandlung schwer behandelbarer Epilepsien bei Kindern eingesetzt. Aus dieser Zeit stammen die meisten Erfahrungen mit der Diät. Die Entwicklung neuer Anfallsmedikamente wie Phenytoin (1938) und später Valproat (1970) leitete dann die Ära der medikamentösen Epilepsietherapie ein und die ketogene Ernährungstherapie geriet zunehmend in Vergessenheit.

Einsatzgebiete

Bei ca. 70% aller Kinder, die einen zerebralen Krampfanfall hatten, bleibt dies ein einmaliges Ereignis. Von den Kindern, die einen zweiten Krampfanfall entwickeln, lassen sich wiederum ca. 70% erfolgreich durch Medikamente behandeln. Die verbleibenden 30% zeigen trotz erheblicher Fortschritte in der Epilepsietherapie eine Epilepsie, die nicht auf Medikamente anspricht. Vor diesem Hintergrund findet die ketogene Ernährungstherapie als alternative Therapie der kindlichen Epilepsie in den letzten Jahren wieder vermehrt Beachtung.

Die ketogene Ernährungstherapie kann erfolgreich eingesetzt werden bei:

Medikamentös schwer behandelbaren Epilepsien im Kindesalter

Anfallsleiden, die gut auf ein einzelnes Medikament oder auf eine Kombination von Antikonvulsiva ansprechen, sind keine Indikation für eine ketogene Ernährungstherapie. Bei schwer behandelbaren epileptischen Anfällen oder bei untolerierbaren Nebenwirkungen von Medikamenten kann die ketogene Ernährungstherapie sehr erfolgreich sein: eine Auswertung von 11 Studien über die ketogene Ernährungstherapie (Lefevre, Pediatrics 2000) ergab - unabhängig von Anfallsart und Häufigkeit - bei 16% der behandelten Kinder Anfallsfreiheit. Bei einem Drittel der Patienten konnten die Anfälle um mehr als 90%, bei mehr als der Hälfte der Patienten um mehr als 50% reduziert werden.

Seltenen Stoffwechselstörungen des Gehirns

Diese Krankheiten werden durch Störungen des Energiestoffwechsels im Gehirn verursacht.

  •  Bei dem Glukosetransporter(GLUT1)-Defekt ist der Transport von Glukose aus dem Blut in das Gehirn aufgrund eines defekten Transporters (GLUT1) gestört. Da das Gehirn nahezu vollständig auf Glukose zur Energiegewinnung angewiesen ist, führt dieser Energiemangel bereits früh zu zerebralen Anfällen, Entwicklungsverzögerungen und komplexen Bewegungsstörungen. Die ketogene Ernährungstherapie bietet dem Gehirn eine alternative Energiequelle in Form von Ketonkörpern. Diese gelangen durch einen unabhängigen Transporter in das Gehirn und können Glukose als Brennstoff nahezu vollständig ersetzen.
  • Der Pyruvat-Dehydrogenase-Mangel ist eine schwere Erkrankung, bei der der Energiestoffwechsel im Gehirn gestört ist. Glukose kann aufgrund eines Enzymdefektes der Pyruvat-Dehydrogenase nicht mehr zu Acetyl-CoA abgebaut und in den Energiestoffwechsel eingeschleust werden. Eine ketogene Ernährungstherapie stellt Ketonkörper zur Verfügung, die als Acetyl-CoA aus der Fettverbrennung dann wieder zur Energiegewinnung zur Verfügung stehen. Dies kann den Verlauf dieser schweren Erkrankung mildern, jedoch nicht aufhalten.
Prinzip

Die ketogene Ernährungstherapie ist eine sehr fettreiche, kohlenhydratarme Spezialdiät zur Therapie schwer behandelbarer Epilepsien und einiger seltener Stoffwechselerkrankungen (siehe Die Einsatzgebiete).

Sie ist eine individuell berechnete Ernährung, die nur unter ärztlicher Anleitung durchgeführt werden darf.
Sie zeichnet sich durch ein definiertes Verhältnis in Gramm (g) von Fett zu ‘Nichtfett’ (Kohlenhydrate und Eiweiß) aus.

Bei normaler Ernährung wird ein Großteil der benötigten Energie in Form von Kohlenhydraten aufgenommen.
Diese werden fast vollständig zu Glukose abgebaut und weiter zur Energiegewinnung genutzt.

Die Kohlenhydratreserven des Körpers sind sehr gering und werden beim Fasten schnell verbraucht.
Deshalb wird körpereigenes Fett abgebaut. In der Leber entstehen Ketonkörper, die dem Gehirn als Energiequelle dienen – daher der Begriff ‚Ketose’.

Die ketogene Ernährungstherapie funktioniert nach eben diesem Prinzip. Anstelle des körpereigenen Fettes wird Nahrungsfett zu Ketonen umgewandelt.
Der Fastenzustand bleibt bestehen, ohne dass es zur Gewichtsabnahme kommt. 

Durchführung

 istErnährungstherapieDie Durchführung der ketogene Ernährungstherapie lässt sich in folgende Schritte aufteilen:

  • Voruntersuchungen
  • Beginn der Ernährungstherapie
  • Verlauf


1. Voruntersuchungen

Vor Einleitung der ketogenen Ernährungstherapie muss der Patient zunächst sorgfältig untersucht werden.
Hierzu gehören das gründliche Erfragen der bisherigen Krankengeschichte, ein Ernährungsprotokoll, Körpermaße und eine Reihe von Laboruntersuchungen.
Diese Voruntersuchungen sind notwendig, um Veränderungen unter ketogene Ernährungstherapie sicher zu erfassen und Krankheiten auszuschließen, bei denen die Diät nicht durchgeführt werden darf. Hierzu gehören u.a. Störungen im Auf- oder Abbau der Ketone (Ketoneogenese-/ Ketolysedefekte) sowie mitochondriale Erkrankungen (Fettsäure-Oxidations-Defekte und Pyruvat-Carboxylase-Mangel).
Die ketogene Ernährungstherapie im Säuglingsalter bleibt erfahrenen Zentren vorbehalten!

2. Beginn der Ernährungstherapie

Beachte: Die Diät muß immer im Krankenhaus eingeleitet werden!

Zunächst wird gefastet (Ausnahme: Pyruvat-Dehydrogenase-Mangel), bis der Körper Ketone produziert.
Dies kann je nach Alter des Kindes 1-3 Tage dauern. Nach 72 Stunden wird auf jeden Fall mit der ketogenen Diät begonnen!
Blutdruck, Puls, Atmung, Blutzucker und das Ansteigen der Ketone in Blut und Urin werden engmaschig überwacht.
Trinken von ungesüßtem Tee oder Wasser ist erlaubt; gegen das Hungergefühl hilft manchmal zuckerfreie Götterspeise.

Gelegentliches Erbrechen, aufgrund zu hoher Ketose, kann gut durch einen kleinen Schluck Orangensaft und Fortführen des Fastens behoben werden.
Beim Nachweis einer eindeutigen Ketose wird stufenweise mit der Nahrungsaufnahme begonnen.
Wird die Ernährungstherapie komplikationslos vertragen und ist der Patient/die Familie mit der Berechnung der Ernährungstherapie vertraut, kann er in die ambulante Betreuung entlassen werden.

3. Verlauf

Anfänglich sind engmaschige Verlaufskontrollen alle 1-2 Wochen, später alle 3-6 Monate nötig.
Nahrungsprotokolle müssen sich im Alltag bewähren und häufig überarbeitet werden.

Das Einhalten der Ernährungstherapie im Kindergarten und in der Schule ist für das Kind und die Betreuer oft gewöhnungsbedürftig.
Hierzu empfiehlt es sich, die Betreuungspersonen mit ein zu beziehen und die "Angst" vor der Ernährungsweise und Erkrankung zu nehmen.

Damit die ketogene Ernährung eine ausgewogene Ernährung ist, ist es in vielen Fällen notwendig regelmäßig kohlenhydratfreie Multivitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe, insbesondere Calcium einzunehmen. Halbjährliche Kontrollen der Blutwerte sind erforderlich.

Kontrolle der Ketose:
Die Entwicklung der Ketose wird während der Fastenphase alle 4-6 Stunden durch die direkte Messung
des Ketons ß-Hydroxybutyrat (Zielbereich > 2 mmol/L) und
der Glukose (Zielbereich > 40 mg/dl) im Blut kontrolliert.
Die Wirksamkeit der Ernährungstherapie, bzw. die benötigte Ketons ß-Hydroxybutyrat Konzentration kann dabei sehr individuell sein.

Nach erfolgreicher Umstellung auf die ketogene Ernährungstherapie sind zunächst tägliche, dann wöchentliche Messungen des ß-Hydroxybutyrats im Blut sinnvoll – im Verlauf kann die Überwachung der Ketose im Urin dann mittels Teststreifen (Zielbereich: 80-160 mg/dl) erfolgen.

In besonderen Situationen (z.B. Krampfanfälle, Infekte, Diätfehler usw.) sollte wieder die Messung des ß-Hydroxybutyrats im Blut durchgeführt werden – diese zeigt die aktuelle Stoffwechselsituation an und gibt dem betreuenden Arzt wichtige Informationen für das weitere Vorgehen.

Dauer

Um die ketogene Ernährungstherapie beurteilen zu können, muss man sie mindestens drei Monate konsequent durchführen.
Zeigt sie trotz nachweisbarer konstanter Ketose keine Wirkung, kann sie innerhalb kurzer Zeit wieder beendet werden.

Ist die Ernährungstherapie bei Patienten mit Epilepsie erfolgreich und das Kind anfallsfrei, ist nach zwei bis drei Jahren eine Beendigung der ketogenen Ernährungstherapie zu erwägen.
Dies sollte über ein Jahr durch die allmähliche Veränderung des Verhältnisses Fett : Nicht-Fett (von 4:1 über 3:1 über 2:1 bis zur Normalkost) erfolgen, um keine Anfälle zu provozieren.

Derzeit ungeklärt ist die Dauer der Ernährungstherapie bei Glukosetransporter(GLUT1)-Defekt - aufgrund des erhöhten Energieumsatzes im kindlichen Gehirn sollte bei dieser Erkrankung die ketogene Ernährungstherapie auf jeden Fall bis zur Pubertät beibehalten werden.

Bei Pyruvat-Dehydrogenase-Mangel ist die ketogene Ernährungstherapie vermutlich lebenslang erforderlich.

 

Nebenwirkungen

Häufigste Nebenwirkung nach Einführung der Ernährungstherapie ist Verstopfung - eine Stuhlfrequenz alle 2-3 Tage kann man jedoch meist akzeptieren, oft helfen ausreichende Flüssigkeitszufuhr, zusätzliche (kohlenhydratfreie!) Ballaststoffe oder leicht abführende Maßnahmen.

5-10% aller Patienten entwickeln im Verlauf Nierensteine; diese lassen sich durch vermehrte Flüssigkeitszufuhr und Medikamente, die den pH-Wert des Urins senken, gut behandeln. Des weiteren kommt es häufig zu Veränderungen der Blutfette mit einer Erhöhung des Cholesterins - ein mögliches Arteriosklerose-Risiko lässt sich jedoch aufgrund von fehlenden Langzeitstudien derzeit nicht sicher beurteilen.

Bei zu starker Ketose können Wachstumsstörungen auftreten, die durch ungenügende Calziumgabe noch verstärkt werden können. Hier helfen eine gute Kontrolle der Ketose und ein konsequenter Zusatz von Mineralstoffen. Bei Fieber- und Durchfallerkrankungen sollte rechtzeitig eine ärztliche Mitbeurteilung und ggf. eine intravenöse Flüssigkeitsgabe erfolgen, um eine überschießende Ketose durch Flüssigkeitsverlust zu korrigieren.

Die häufigste Ursache einer zu niedrigen Ketose sind ‘versteckte Zucker’ in Nahrungsmitteln und Medikamenten. Selbst ein kleines Stück Schokolade oder Bonbon kann bereits zum Verlust der Ketose und zu Krampfanfällen führen. Auch viele Zahncremes und die meisten Medikamente, die als Säfte angeboten werden (Husten- und Antibiotikasaft), enthalten einen erheblichen Zuckeranteil. Bei einem Diätfehler sollte man die Ruhe bewahren, nach einer Fehlerquelle suchen, z.B. das Medikament nach Rücksprache mit dem Arzt wechseln und die Ernährungstherapie planmäßig fortführen.

 

Berechnung

Die ketogene Ernährungstherapie zeichnet sich durch ein besonderes Verhältnis an Fett zu Eiweiß und Kohlenhydraten aus.
Das jeweilige Verhältnis (z.B 3:1, s.u.) gibt an, wie hoch der Anteil an Fett zur Summe aus Kohlenhydraten und Eiweiß ist.

3 : 1
3 Gramm Fett : 1 Gramm (Eiweiß + Kohlenhydrate)

Das Prinzip der ketogenen Ernährungstherapie ist also eine fettreiche (82-90% der Energiemenge als Fett), kohlenhydratarme Ernährungstherapie mit einer altersentsprechenden Eiweißzufuhr.
Welches Verhältnis für den Einzelnen geeignet ist, entscheidet der behandelnde Arzt. Jede Mahlzeit muss in diesem Verhältnis zubereitet sein!
Da Kohlenhydrate und Eiweiß in fast jedem Lebensmittel enthalten sind, ist eine sorgfältige Lebensmittelauswahl, sowie das Wiegen und Berechnen der Ernährungstherapie entscheidend – hier hilft der/die DiätassistentIn.

 

ketogene
Speisen